Die Begriffe des muslimischen Staates, der muslimischen religiösen Vereinigungen, Islamismus, islamischer Extreminismus, islamischer Fundamentalismus und der muslimischen Identität sind stets bezogen auf lokale und segmentäre Gruppen anzuwenden. Sie sind um den Vater der deutschen Soziologie, Max Weber, zu paraphisieren Idealtypen, welche sich in verschiedenen Abwandlungen und Kombinationen dazu eignen, muslimische Gesellschaften in verschiedenen Epochen und in anderen geographischen Teilen der Welt als den Nahen und Mittleren Osten zu analysieren.
Es bedeutet für den Gesamtprozeß der institutionellen Formation einer islamischen Gesellschaft, dass der Beginn der Institutionalisierung mit einem charismatischen Führer und visionären Bewegung einsetzt über den Prozeß der Transformation ihren Ausklang in der Umsetzung von Glaubensvorstellungen, Praktiken, Identitäten und Organisationen zwischen Atlas und Pamir findet.
Kurator - 7. Aug, 17:40
Die Offenbarung als Quelle manifestiert im Koran und die grundlegenden Ausführungen in der Sunna wurden als das Erbe des Propheten in die Gesellschaften durch zwei uneinheitliche Eliten hineingetragen. Auf der einen Seite entstand das Khalifat als Institution nach dem Ableben des Propheten, durch seine Nachfolger initiiert, welche sich als "Khalifen des Propheten" zu bezeichnen pflegten, auf der anderen Seite entwickelte sich die Ulama, als eine Elite von islamisch-religiösen Gelehrten, überdies entstanden Sufi-Orden.
Noch zu Zeiten des Propheten finden sich erste Ansätze, welche auf die künftige Herausbildung der genannten Eliten hinweisen. Zu Lebzeiten des Propheten bildete sich in der frühislamischen Gemeinschaft unter den Jünger eine ausgewählte Gruppe, welche sich mit dem Aufschreiben des Korans und mit der Memorisierung von Hadith beschäftigte, der Lebensunterhalt dieser Gruppe wurde durch die Gemeinde finanziert.
Beide Eliten versuchten nach der Regierungszeit der vier rechtsgeleiteten Khalifen als die ersten Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Religion auftraten, die islamischen Werte und Identitäten einer bereits komplexen Kultur anzusinnen und sie nach ihrem eigenen Ethos nach ihren Interssen umzugestalten. Die Institutionlisierung des Islams gestaltete sich als ein hochkomplexer Prozeß verstärkt wurde dieser Prozeß durch das Einwirken der beiden Eliten auf die jeweilige Gesellschaften. Die auf der Staatsebene agierenden Khalifen versuchten die Reichsinstitutionen in das umzuwandeln, was später als islamische Staaten genannt wurden, während die Ulama und die Sufi-Orden als kommunale oder sektenartige Verbände sich organisierten. Dieser Entwicklung schloß sich das Bemühen der religiösen Elite an, islamische Symbole und Identitäten in die Kollektiveinrichtungen zu integrieren. Die Spannung zwischen beiden Eliten zieht sich durch die islamische Geschichte wie ein roter Faden durch und erlaubt heute ein Erklärungsansatz für die Renaissance des Islams nach der Säkularisierung im 19. und 20. Jahrhundert zu liefern. Der Dualismus beider Eliten ist charakteristisch für den Islam im Nahen und Mittleren Osten und tritt in abgewandelter Form in afrikanischen und asiatischen Gesellschaften zu Tage, welche zu islamisch geprägten Gesellschaften zählen. Historisch lässt sich an der Geschichte der Stadt Mekka, als Zentrum der islamischen Welt, dieser Dualismus nachzeichnen. Mekka als Heiligtum mit der symbolischen Kraft war stets ein Interessenstreitpunkt der Herrschenden in der islamischen Welt.
Kurator - 7. Aug, 17:10
Es sollte von Anbeginn an unmissverständlich deutlich sein, dass der Islam keine Kriegerreligion ist, - dass der Islam lediglich eine Weltkultur darstellt, die ein breites Spektrum von religiösen Ansichten und sozialen Ethiken der Offenbarung repräsentiert. Hierin liegt auch die große Problematik bei der Definition des "Homo islamicus", wenn wir über die islamischen Welt sprechen, gar urteilen wollen. Hier bedarf es eine genaue Analyse der Erscheinungsformen des Islams in den Gesellschaften und Gemeinschaften, welche sie angenommen haben. Jede Art der Pauschalisierung über die islamische Umma und insbesondere über den Islamismus, was das auch sein mag, als eine universalistische Ideologie erscheint daher als ad absurdum, da der "Homo islamicus" zwischen Casablanca und Jakarta in divergierenden Lebensformen auftritt. Die kulturellen sowie gesellschaftlichen Axiome des Islams sind in jeder Gesellschaft unterschiedlich angelegt.
Kurator - 7. Aug, 15:03
Die Institutionalisierung des Islams vollzog sich in verschiedenen Phasen. Die Schaffung einer muslimischen Gemeinde, aus welcher sich die erste frühislamische Gemeinschaft zuerst in Mekka, dann in Medina unter der Ägide des Propheten Mohammed entsteht, stellt die erste Phase als die sogenannte Gründungsphase. Sie umfasst den Lebensabschnitt des Propheten selbst und bildet einen Zeitraum von 23 Jahren nach der Offenbarung, diesem schließt sich die Regierungszeit der vier rechtsgeleiteten Khalifen an, welche in der islamischen Geschichtsschreibung als die Zeit der Hulafa-i Rashidun bekannt ist. Dies bedeutet die Ausbildung einer umfassenden, religiös definierten Gemeinschaft, welche als integrierende Kraft die Stammesgesellschaft etablierte. Der Prophet und seine Jünger, Sahaba-i-Kiram, sind die Elite, die eine segmentierte Gesellschaft der arabischen Stämme dahingehend transformieren, dass die islamische Gemeinschaft aus der Vermittlung zwischen Verwandschaftgruppen, der Wirtschaftregulierung, der Staatsbildung und der Moralreform dient. Bedeutend in der Tat ist , dass die Verwandschaftstrukturen von der gesellschaftlichen Transformation unberührt bleiben.
Das Wertesystem, welches aus der Koexistenz von segmentärer und religiöser Organisation besteht ist grundlegend komplex. Auf der prophetischen Ebene enthält der Koran und die Sunna das Prinzip der Vorstellung einer transzendenten Realität, die im Widerspruch zu der Stammeskultur steht. Die Offenbarungsvision stellt der Erweiterung des Stammesgruppen und der Kriegertugenden vorislamischer Zeit eine religiöse Bruderschaft und persönliche Askese entgegen. Diese ist gezeichnet durch Bescheidenheit, Demut, Selbstbeschränkung in der Gemeinschaft. Jedoch blieb die Stammeskultur bis zur heutigem Tage beibehalten, - die Familien-und Stammesstruktur der arabischen Völker von damals ist noch heute ein Teil der arabisch-islamischen Gesellschaftsstruktur. Die Beibehaltung von heidnischen Tugenden, in dem sie eine neue Bedeutung erhalten, zugleich die Konvertierung von anderen nicht-arabischen Völkern lässt den Islam als Religion äußerst pragmatisch erscheinen. Kulturtugenden und Rituale der eroberten Völker werden nicht abgelehnt, sie werden einer Transformation unterzogen, welche die heutige Vielfalt der islamischen Welt ausmacht.
Die islamischen Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten entstehen in der zweiten Phase der Institutionalisierung des Islams, welche durch Eroberungen im arabischen Raum miteinhergeht und den Zeitraum der vier erchtsgeleitetn Khalifen mitumfasst. In diese Phase ist auch die Entstehung eines prototypischen islamischen Staates zu datieren. Die muslimische Gemeinschaft erfährt ihre erste Differenzierung in eine Vielzahl von religiös-politischen Eliten und Verbänden, sowie Glaubensgemeinschaften. Diese Entwicklung ist verbunden mit einer Vervielfältigung der Orientierung gegenüber der irdischen Realität. In der Tat vollzieht sich die Institutionalisierung nicht in der Kontinuität von Hirten-und Oasengesellschaften, wo überwiegend die Stammesstrukturen wirken, sondern intern von Gesellschaften die landwirtschaftliche, ökonomisch, urban, imperial bestimmt sind. Die Gesellschaften waren auf verschiedener Ebene organisiert, bestanden aus zahlreichen Teil- Verwandschafts- Stammes- und Dorfgemeinschaften, welche durch die ökonomischen Tauschbeziehungen und durch die religiösen Gemeinschaften jüdischen, christlichen, zoroastrischen Ursprungs zusammen gehalten.
Kurator - 7. Aug, 14:39